KMV / Kalnedergeschichte 2024
Maries Weihnachtswunsch
Waren das rote Stiefel? Marie springt aus dem Bett, schleicht zur Tür und schaut auf den spärlich beleuchteten Flur.
„Mama, Papa, seid ihr das?“ Keine Antwort. „Hallo?“
Marie zuckt mit den Schultern, dreht sich um, läuft zu ihrem Bett zurück und knipst das Nachtlicht an. Sie zieht die Bettdecke bis unters Kinn. Das war unheimlich. Ihre Blicke huschen durch den Raum und bleiben an der Bettkante hängen.
„Oh! Wie kommst du denn hier her?“
Ruckartig setzt sie sich auf. Am Fußende sitzt ihr Stoffwichtel. Sie reibt sich die Augen, blickt vom Bett zum Fenster und wieder zurück ans Bettende. „Ich habe dich doch auf die Fensterbank neben das Kästchen gesetzt. Träume ich?“ Ihr Herz pocht bis an den Hals.
Aus der Zimmerecke hört sie es Rascheln. „Psst! Nicht so laut. Es darf keiner wissen, dass ich hier bin.“
„Gibt es dich wirklich?“, flüstert sie, als sie sieht, wie sich das rechte Bein des Stoffwichtels bewegt und sich über das linke legt.
„Marie, du träumst nicht. Du hast einen großen Wunsch, nicht wahr?“
„Ja“, sprudelt es aus Marie heraus, „ich wünsche mir eine Gitarre.“
„Mhm“, wispert die Stimme.
„Meinst du, der Wunsch ist wirklich zu groß? Meine jetzige Gitarre ist zu klein geworden. Die Musiklehrerin meint, dass ich zu schnell gewachsen bin und Mama und Papa sagen, dass ich noch mehr üben soll, bevor ich eine neue bekomme. Aber ich habe geübt.“
„Ach, so ist das.“
„Ja, ich würde meiner Freundin Mia die alte Gitarre schenken. Sie ist noch etwas kleiner als ich und Anfängerin. Das wäre so schön, dann könnte ich mit ihr zusammen zur Musikschule gehen. Zu zweit ist es noch viel lustiger. Vielleicht gründen wir dann eine Band.“
„Mhm. Eine Band!“
Marie gähnt und bevor ihr die Augen zufallen, sieht sie gerade noch, wie zwei rote Stiefel über den Teppich laufen und Goldstaub funkelnd und flirrend durch den Raum schwebt.
Als Marie am nächsten Morgen aufwacht und den Stoffwichtel wieder auf der Fensterbank sitzen sieht, seufzt sie. Ich habe doch geträumt.
Ein Glöckchen bimmelt und sie hört, wie Mutter ihren Namen ruft. Auf nackten Füßen läuft sie ins Wohnzimmer, indem ihre Eltern mit ausgebreiteten Armen vor dem Weihnachtsbaum stehen.
„Mama, Papa, gestern Abend ist ein Wichtelchen bei mir gewesen.“
„Wirklich?“, fragen beide und umarmen sie.
„Ja, ja, es wusste, was ich mir wünsche.“
Bevor Marie weiter sprechen kann, streicht ihre Mutter ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und geht einen Schritt beiseite. Marie macht große Augen und klatscht in die Hände.
„Eine Westerngitarre. Die Decke schimmert wie Seide. Oh wie schön.“
„Sie gehört dir. Komm, spiel uns etwas vor.“
Maries Wangen sind leicht gerötet, als sie die Seiten stimmt und anfängt, Weihnachtslieder zu spielen. Ein breites Grinsen überzieht ihr Gesicht. Wichtel gibt es wirklich. © KMV 1.12.2023